Von Grün-Rot zu Grün-Schwarz - Kontinuitäten und neue Akzentsetzungen in der Kita-Politik des Landes

16.06.2016 | Bei der Mitgliederversammlung des Evangelischen Landesverbandes am 9. Juni 2016 kommentierte der Geschäftsführer die kindergartenpolitischen Aussagen des Koalitionsvertrags, der Grundlage für die Politik der Landesregierung in neuen Legislaturperiode sein wird. Wir geben hier Ausschnitte aus dem Jahresbericht des Geschäftsführers wieder.

Bereits im einleitenden Grundsatzteil des Koalitionsvertrags werden die Kitas an prominenter Stelle als Teil eines leistungsfähigen und gerechten Bildungssystems angesprochen, das für die Zukunft des Landes entscheidend sei. Im Abschnitt „Verlässlich, vielfältig, erfolgreich in der Bildung“ werden dann einzelne Maßnahmen konkretisiert.

Unter dem Stichwort „Sprache fördern“ wird eine alltagsintegrierte und stärkenorientierte Weiterentwicklung der Sprachbegleitung und Sprachförderung nach dem Programm SPATZ angekündigt, ausdrücklich jedoch als Angebot „neben der Gruppenförderung“ apostrophiert. Die frühere Landesregierung hatte durch Änderungen der SPATZ-Richtlinie bereits einen Schritt hin zu alltagsintegrierten Förderkonzepten ermöglicht, eine Abkehr von einem zusätzlichen Förderprogramm lässt sich auch aus der neuen Koalitionsvereinbarung noch nicht herauslesen, obgleich diese bereits in der Vergangenheit mehrfach erörtert wurde.

Eine an „klaren Qualitätskriterien“ ausgerichtete Projektförderung für die Weiterentwicklung von Kitas zu Kinder- und Familienzentren soll Impulse dafür setzen, dass landesweit ein flächendeckendes Angebot an Kinder- und Familienzentren entsteht. Mit diesem Vorhaben knüpft Grün-Schwarz an das zum Ende der Legislaturperiode noch schnell und vorerst nur für das Jahr 2016 auf den Weg gebrachte Projekt zur finanziellen Förderung von Familienzentren an. Die Förderung von Familienzentren entspricht einem über die Jahre von den Trägerverbänden immer wieder ins Spiel gebrachten Anliegen. Es ist zu hoffen, dass das jetzt angekündigte Projekt längerfristig angelegt und mit einer Verwaltungsvorschrift auf eine solide Basis gestellt wird. Die Zahl von 266 Interessensbekundungen für das Ende Februar sehr kurzfristig ausgeschriebene Förderprogramm spricht dafür, dass die Grundidee der Familienzentren mittlerweile in der Breite der Kita-Landschaft verankert ist. Projekte im kirchlichen Bereich wie die Zukunftsinitiative evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder, das unser Verband in den Jahren 2009 bis 2011 zusammen mit der Evangelischen Landeskirche durchgeführt hat, haben dazu wesentlich beigetragen.

Dass der Koalitionsvertrag den bestehenden Standorten der Bildungshäuser für Drei- bis Zehnjährige eine Bestandsgarantie gibt, ist zu begrüßen. Damit besteht für die Bildungshäuser, denen im Jahr 2015 von der wissenschaftlichen Begleitung durch das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen (ZNL) ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde, nun endlich Planungssicherheit.

Auch im Blick auf die Ausbildung und Qualifizierung von Fachkräften für den Kita-Bereich befindet sich die neue Koalition in der Kontinuität der vorigen. Die Weiterführung und Erweiterung der Ausbildungsform PiA und die Integration von Pädagoginnen und Pädagogen mit einer im Ausland erworbenen Qualifikation als Fachkräfte sind richtig und begrüßenswert.

Es sind vor allem zwei Vorhaben, mit denen die neue Koalition Akzente setzt. Da ist zum einen der sogenannte Kinderbildungspass, der als familienentlastende Maßnahme und als Maßnahme der Integration von Kindern im Vorschulalter bezeichnet wird. Angesichts von Betreuungsquoten bei Kindern im Kindergartenalter von 99,17 Prozent in den Stadtkreisen und von 100 Prozent in den Landkreisen des Landes stellt sich die Frage, welchen zusätzlichen Integrationseffekt eine solche – mit 90 Millionen doch auch sehr teure Maßnahme – haben wird. Diejenigen Familien, die aus kulturellen oder religiösen Gründen den Besuch ihrer Kinder in der Kita ablehnen, wird man mit einem solchen Angebot wohl schwerlich erreichen. Der Kinderbildungspass könnte ein Einstieg werden in die Beitragsfreiheit, die im Landtagswahlkampf bereits eine kontroverse Rolle gespielt hat. Der unter dem Stichwort Kinderbildungspass hergestellte Bezug zur Zertifizierung von Einrichtungen wird in den Gesprächen mit der neuen Landesregierung erst noch zu präzisieren sein.

Eine landesweite Zertifizierung von guten Kitas soll – dies dürfte der bemerkenswerteste neue Akzent im Koalitionsvertrag sein – in einem Modellversuch unter Einbeziehung von Wissenschaft und Praxis initiiert werden. Hier darf man gespannt sein, was die weiteren Gespräche im Kultusministerium ergeben. Der Koalitionsvertrag stellt jedenfalls klar fest, dass ein zu vergebendes Gütesiegel mit den Gütesiegeln der freien Träger abgestimmt wird. Aus der Sicht der freien Trägerverbände wäre es ein Irrweg, über die bereits vorhanden Gütesiegel im Bereich der Freien Wohlfahrtspflege hinaus ein einheitliches trägerübergreifendes Gütesiegel festzulegen. Trägervielfalt und Subsidiarität haben in Sachen Qualitätsentwicklung in den letzten Jahren Maßstäbe gesetzt. Es bewährt sich jetzt, dass unser Verband und die Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. (BETA) mit dem BETA-Gütesiegel und der bereits über viele Jahre angebotenen Begleitung von Trägern und Teams in Sachen Qualitätsmanagement gut aufgestellt sind. Sollte ein Gütesiegel mittelfristig nicht mehr eine Sache der Freiwilligkeit sondern politischer Vorgaben werden, können Träger und Einrichtungen unseres Verbandes auf ein bundesweit etabliertes und anerkanntes Verfahren zurückgreifen. Aus dem Abschnitt „Gute Qualität bei der Betreuung“ lässt sich im Koalitionsvertrag zumindest die Andeutung auf eine Verbesserung von Personalschlüsseln herauslesen.

Fazit
Blickt man auf die kindergartenpolitischen Vorhaben der grün-schwarzen Koalition, so überwiegt der Eindruck von Kontinuität – bei Zertifizierung und Kinderbildungspass gibt es sicherlich einigen Klärungsbedarf. Ins Auge springt jedoch, was im Koalitionsvertrag nicht angesprochen wird: Weder finden sich Aussagen zu den zusätzlichen Herausforderungen für Träger und Fachkräfte bei der Aufnahme von Flüchtlingskindern, gar zu einem neuerlichen „Pakt für Familien“ noch zur Weiterentwicklung inklusiver Konzepte in Kindertageseinrichtungen. Schließlich: das seit Jahren in der Landespolitik virulente Thema einer Leitungszeitregelung wird gar nicht erwähnt. Dies ist aus meiner Sicht enttäuschend. Die Aufnahme von Kindern mit Fluchterfahrung bringt nicht nur pädagogische, sondern auch planerische und finanzielle Herausforderungen für Träger mit sich, die seitens des Landes ebenso Berücksichtigung finden müssten, wie bei der Ausstattung der Schulen mit Personal. Unter dem Gesichtspunkt der notwendigen Konsolidierung nach all den Neuerungen, Aufbrüchen und Reformprozessen der letzten Jahre käme einer Leitungszeitregelung nun wahrlich eine zentrale Bedeutung zu. Verhindert hier der teure Einstieg in die Beitragsfreiheit die notwendige Qualitätsverbesserung? Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden werden die kirchlichen Trägerverbände das Thema erneut auf die Tagesordnung der Gespräche mit der neuen Landesregierung setzen. 

Wir werden wie immer unsere Mitglieder über die weiteren Gespräche und Entwicklung auf Landesebene aktuell informieren.

Georg Hohl
Geschäftsführer des Evangelischen Landesverbandes – Tageseinrichtungen für Kinder in Württemberg e.V.